Aufruf zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen

Schweigen brechen ist der erste Schritt

Anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen sind die Medienvertreter/-innen am Freitag, 26. November, um 13.30 Uhr zu einem Fototermin auf dem Rathausplatz mit Oberbürgermeister Dr. Christian Scharpf, Bürgermeisterin Dr. Dorothea Deneke-Stoll, Bürgermeisterin Petra Kleine, den Frauen vom Aktionsbündnis und der Gleichstellungsbeauftragten eingeladen.

Jedes Jahr aufs Neue formiert sich das bewährte Bündnis mit dem Frauenhaus der Caritas Ingolstadt, Soroptimist Ingolstadt, Zonta Club Ingolstadt, Wirbelwind e.V., Pro Familia sowie der städtischen Gleichstellungsstelle, um den Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen.
Wegen der aktuellen Corona-Situation verzichtet das Aktionsbündnis auf eine Versammlung und lässt stattdessen „Schilder sprechen“. Damit wollen sie ein Zeichen gegen Gewalt setzen und betroffenen Frauen zeigen, dass sie nicht alleine sind. Ihnen soll Mut gemacht werden, sich aus der Gewalt zu befreien. Das Bündnis will auch Mitmenschen auffordern, hinzusehen und das Schweigen zu brechen. Es geht darum, die Gewalt konkret zu benennen und zu bekämpfen. Diese Botschaft findet sich auch auf den Schildern wieder, die auf dem Rathausplatz für zwei Tage, nämlich am Donnerstag und Freitag, 25. und 26. November, aufgestellt werden. Ergänzend wird auf den großen digitalen Bildschirmen im Stadtgebiet für einige Wochen auf die Unterstützungsmöglichkeiten durch das „Hilfetelefon“ hingewiesen, ebenso wurden Plakate in mehreren hundert Wohnanlagen, bei Ärzten, bei relevanten Einzelhändlern und in der Technischen Hochschule ausgehängt. Denn die wenigsten betroffenen Frauen suchen Hilfe und Unterstützung – und das muss sich ändern, finden die Partnerinnen des Aktionsbündnisses. Menschen, die Gewalt gegen Frauen beobachten oder sich nicht sicher sind, ob es Gewalt sein könnte, können sich ebenfalls vom Hilfetelefon beraten lassen.

Diese Aktion findet auch die Unterstützung von Oberbürgermeister Dr. Christian Scharpf und den beiden Bürgermeisterinnen Dr. Dorothea Deneke-Stoll und Petra Kleine.
Barbara Deimel, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt: „Das Zeichen, das unsere Stadtspitze hier vereint setzt, ist großartig. Es zeigt wie wichtig es ist, das Schweigen zu brechen und sich gemeinsam gegen die Gewalt zu stellen.“

Schweigen schützt Täter. Hinsehen statt Wegsehen und das Schweigen brechen kann Frauen schützen und helfen. Gewalt gegen Frauen wird nach wie vor verharmlost, ignoriert und nicht genug beachtet. Dabei ist Gewalt gegen Frauen in Deutschland ein gravierendes Problem. 35 Prozent aller Frauen in Deutschland sind von körperlicher und/oder sexuellen Gewalt betroffen, so das Ergebnis einer Untersuchung der Europäischen Grundrechteagentur von 2014. Die Kriminalstatistik der letzten Jahre spricht jährlich von über 140.000 angezeigten Fällen von häuslicher Gewalt. In der Region 10 um Ingolstadt wurden im letzten Jahr 673 Fälle von häuslicher Gewalt zur Anzeige gebracht. Die Dunkelziffer ist laut Fachkreise um ein Vielfaches höher. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau in Deutschland durch häusliche Gewalt.

Mord, Totschlag, Körperverletzung, Bedrohung, Stalking, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung oder Zwangsprostitution sind die Facetten der Gewalt gegen Frauen. Neben der sogenannten häuslichen Gewalt, die von Partnern oder Expartnern ausgeübt wird, gibt es dann noch die Gewalt im öffentlichen Raum oder am Arbeitsplatz. Nach einer Studie im Auftrag des Bundesfamilienministerium geben 63 Prozent der Frauen an, dass sie schon einmal sexistische Übergriffe wahrgenommen haben oder selbst betroffen waren oder sind. Nach einer jüngsten Befragung des Kinderhilfswerks Plan, fühlen sich Mädchen und Frauen in Großstädten zunehmend unsicher. Die Befragung hat deutlich gemacht, dass Mädchen und junge Frauen auch in deutschen Großstädten täglich sexuell belästigt, verfolgt, bedroht und beleidigt werden. Dadurch wird ihnen das Recht genommen, sich frei und sicher in den Städten zu bewegen.
Wenn im Umfeld beobachtet wird, dass sich Frauen plötzlich verängstigt zurückziehen oder der konkrete Verdacht besteht, dass eine Frau Gewalt erfahren hat, steht das bundesweite Hilfetelefon sowohl den betroffenen Frauen als auch Menschen im Umfeld zur Seite. Dort kann rund um die Uhr, an allen Tagen im Jahr und in 17 Sprachen über die Sorgen, Beobachtungen oder einen Verdacht gesprochen und beraten werden. Unter der Rufnummer 08000 116 016 und über die Online-Beratung unter www.hilfetelefon.de stehen professionelle Beraterinnen anonym, kostenlos und barrierefrei zur Verfügung. Auf Wunsch vermitteln die Beraterinnen an eine Unterstützungseinrichtung vor Ort. Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben angesiedelt.

Derzeit gibt es bundesweit fast 350 Frauenhäuser, davon auch eines in Ingolstadt. Dazu kommen bundesweit rund 600 Beratungs- und Interventionsstellen. In Ingolstadt finden betroffene Frauen eine breite Unterstützung durch Polizei, Strafvollzug, medizinische Behandlung, Therapien und Beratungseinrichtungen, wie z.B. bei der Beratungsstelle Wirbelwind e.V., Telefon 0841 17353 und beim Caritas-Frauenhaus in Ingolstadt unter Telefon 0841 309-700.

Das Problem betrifft alle gesellschaftlichen Schichten und alle Ethnien. Gewalt gegen Frauen ist nicht abhängig von der Bildung, von der Staatsangehörigkeit oder vom Selbstbewusstsein der Frau. Am häufigsten erleben Frauen Gewalt im familiären Umfeld oder im sozialen Nahbereich. Die Weltgesundheitsorganisation WHO bezeichnet Gewalt gegen Frauen als eines der größten Gesundheitsrisiken von Frauen. Gewalt verletzt die Menschenwürde und hat für die Betroffenen und deren Angehörige weit reichende, oft jahrzehntelange Folgen für deren körperliche und psychische Gesundheit. Die Täter sind meist Ehemänner, Freunde oder Ex-Partner und der Anteil deutscher, männlicher Staatsangehöriger unter jenen lag bei den von der Kriminalstatistik erfassten Fälle im Jahr 2018 bei 78 Prozent. Die Folgekosten von Gewalt an Frauen ermittelte eine Kostenstudie (tredition 2017) mit 3,8 Milliarden. Euro jährlich.

Die Europäische Union und 45 Mitgliedsstaaten haben die sogenannte Istanbul-Konvention unterzeichnet. Deutschland hat sie ebenfalls ratifiziert, so dass sie seit 2018 rechtsverbindlich ist. Die Konvention, die in Istanbul 2011 unterzeichnet wurde, ist ein Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Ziel des Pakts ist es, den Schutz von Mädchen und Frauen vor sexuellen Übergriffen und vor körperlicher und psychischer Gewalt in Europa zu verbessern. Weiter soll das Abkommen einen Beitrag dazu leisten, die Diskriminierung von Frauen zu beseitigen und die wirkliche Gleichstellung von Männern und Frauen zu gewährleisten.

Petra Kleine, Bürgermeisterin Stadt Ingolstadt:
„Immer, wenn wir genauer hinschauen und darüber sprechen, stellen wir fest: Gewalt ist immer noch Alltag erschreckend vieler Frauen und Mädchen. Ein Alltag, der eine hohe Dunkelziffer hat, weil Scham, Angst und Ohnmachtsgefühl vorherrschen. Umso wichtiger ist es, das Schweigen zu brechen und Mut zu machen. Den Frauen und Mädchen zu zeigen: Du bist nicht allein! Dazu brauchen wir den Tag der Gewalt gegen Frauen – damit dieses Thema in die breite Öffentlichkeit gelangen kann und über die vielfältigen und präventiven Hilfsangebote informiert werden kann. Es ist wichtig, dem Thema unsere Aufmerksamkeit und damit den Mädchen und Frauen Solidarität zu geben. So können wir gemeinsam an der Veränderung zu arbeiten, die wir alle brauchen, um sicher, respektvoll und wertschätzend miteinander leben zu können.“

Barbara Deimel, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Ingolstadt:
„Zwei von drei Frauen erleben sexuelle Belästigung. Sexuelle Belästigung ist eine sexualisierte Form der Diskriminierung und setzt Frauen gezielt herab. Sexuelle Belästigung stellt eine Machtausübung mit sexuellen Mitteln dar und schädigt das gesellschaftliche Klima. Denn damit wird eine Ungleichheit begünstigt, die ein Nährboden auch für weitergehende Gewalt ist. Ich würde mir wünschen, dass sich alle Menschen, insbesondere auch die Männer, gegen Sexismus stark machen. Wenn wir es schaffen, Sexismus zu bekämpfen, werden wir mehr Gleichstellung erreichen. Je mehr Gleichstellung, desto weniger Gewalt gegen Frauen wird es geben.“

Kathy Zängler, Präsidentin Soroptimist Club Ingolstadt
Die Weltgesundheitsorganisation benennt Gewalt als eines der größten Gesundheitsrisiken für Frauen weltweit. Gewalt an Frauen hat viele Gesichter und wirkt sich gravierend auf alle Lebensbereiche aus. Sie kann jede Frau treffen – unabhängig von ihrem Alter, ihrem sozialen oder kulturellen Hintergrund. Doch nicht nur Schutz und Hilfe betroffener Frauen sind wichtig. Damit in der Zukunft weniger Männer zu Tätern und Frauen zu Betroffenen werden, brauchen wir mehr gezielte Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen hinsichtlich Konfliktlösung, Selbstbehauptung und ihrer Rollenbilder. Hierzu müssen Ziele und Verantwortlichkeiten zur Verhinderung geschlechterbedingter Gewalt von der Politik festgelegt, koordiniert und überprüft werden. Dieses Thema muss immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden – nicht nur am Orange Day – und nicht nur von uns Frauen. Es ist ein gesellschaftspolitisches Problem, das uns alle angeht.

Andrea Schlicht, Leiterin Frauenhaus der Caritas Ingolstadt
„Im letzten Jahr sind insgesamt 52 Frauen mit 48 Kindern von ihrem Zuhause zu uns ins Frauenhaus Ingolstadt geflüchtet. 163 Mal haben wir telefonisch beraten, mit 22 Frauen ein Beratungsgespräch geführt. Bei der Rufbereitschaft am Abend, in der Nacht und am Wochenende gingen ca. 100 Anrufe ein. Mich erschüttert immer wieder die Tatsache, dass diese Frauen und oft auch die Kinder an einem Ort, an dem sich die meisten Menschen geborgen fühlen, massive Gewalt erleben. Betroffen ist jedes Alter, jede Schicht und jede Nationalität. Wir Mitarbeiterinnen des Frauenhauses sehen täglich die psychischen Folgen wie Einsamkeit, Krankheit, Isolation oder Arbeitsunfähigkeit. Immer noch wird häusliche Gewalt kaum wahrgenommen und tabuisiert. Gewalt gegen Frauen ist nicht nur absolut inakzeptabel, sondern eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte. Wir wollen mit der Aktion „ORANGE“ ein Zeichen setzen und stellen uns öffentlich gegen Gewalt an Frauen.“

Marlies Mayer, Präsidentin ZONTA Club Ingolstadt
„Einen besonderen Fokus legt Zonta dieses Jahr mit Ihrer bundesweiten Petition, um eine bundesweite Koordinierungsstelle gegen Gewalt an Frauen einzurichten: Nein zu Gewalt gegen Frauen. Ja zu einer bundesweiten Koordinierungsstelle, um die Istanbul-Konvention in Deutschland umfassend umzusetzen Gewaltschutz braucht eine ressort-übergreifende Gesamtstrategie. Alle Gewaltschutzmaßnahmen müssen, auch unter Einbezug der Zivilgesellschaft, ineinander greifen. Dafür muss eine staatliche Koordinierungsstelle eingerichtet werden. Gewaltschutz braucht ein umfassendes, intersektional ausgerichtetes Gesamtkonzept zur Prävention geschlechtsbezogener Gewalt. Alle Berufsgruppen, die mit Betroffenen und Tätern in Kontakt kommen, müssen zu Gewaltschutz umfassend aus- und weitergebildet werden. Dafür bitten wir alle um Unterstützung der Online-Petition unter: https://t1p.de/Zonta-Petition-2021“

Andrea Teichmann, Wirbelwind Ingolstadt e.V.:
„Wirbelwind Ingolstadt e.V. setzt sich seit fast 30 Jahren aktiv gegen sexualisierte Gewalt ein. In dieser Zeit hat ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden. Sexualisierte Gewalt wird heute deutlich weniger geleugnet oder bagatellisiert. Während vor drei Jahrzehnten das Engagement gegen sexualisierte Gewalt noch beinahe ausschließlich von autonomen Beratungsstellen ausging, sind v.a. im letzten Jahrzehnt sehr viele, auch staatliche Initiativen, Kampagnen und Projekte entstanden. Gesetze wurden verschärft, geändert oder neu geschrieben. Die Sensibilität für das Thema bei Ämtern, Behörden, Einrichtungen hat sich spürbar verbessert. Betroffene haben deutlich mehr Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen. Bei all diesen guten Nachrichten dürfen wir aber nicht vergessen: Das Ausmaß sexualisierter Gewalt bleibt erschreckend groß! Mit den neuen Medien kamen und kommen neue Facetten hinzu. Wir alle sind gefordert, im Schulterschluss nicht nachzulassen im Kampf gegen jede Form der Gewalt und des Machtmissbrauchs. Auch das Engagement von Wirbelwind Ingolstadt e.V. braucht viele Unterstützer/-innen. Neben der kommunalen und staatlichen Förderung sind wir immer auch auf engagierte Mitmenschen angewiesen, die uns ideell oder finanziell unterstützen. Sprechen Sie uns an! www.wirbelwind-ingolstadt.de“