Ingolstadts „Goldene Zwanziger Jahre“ gestalten
Mit dem Jahreswechsel beginnt ein neues Jahrzehnt. Wirtschaft und Politik befinden sich im Wandel, neue Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft müssen gefunden werden. Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Lösel spricht im IN-direkt Interview über Zukunftstechnologien und die zukünftige Zusammensetzung des Stadtrats.
Ingolstadt ist jetzt offiziell Wasserstoffregion. Was bedeutet das?
In einem großen Wettbewerb konnten sich alle deutschen Kommunen und Landkreise – immerhin über 400 – bei der Bundesregierung darum bewerben, Wasserstoffregion zu werden. Dabei gibt es unterschiedliche Stufen, die Einsteiger-, Expert- und Performer Stufe. Wir haben uns für die Expert Stufe beworben und wollen Performer werden. Dazu haben wir 300 000 Euro Fördergeld bekommen. Das bedeutet, dass wir das bereits bestehende Wasserstoffnetzwerk zwischen den Automobil-
unternehmen, der Stadt und den Hochschulen, aber auch der Gunvor weiter vertiefen können. Wir wollen dementsprechend eine einheitliche Wasserstoffstrategie für unsere Region entwickeln – von der Produktion über die Lieferkette bis hin zur Verbraucherkette. Das ist nicht ganz unbedeutend, denn als Automobilstandort wird das Thema Wasserstoff zunehmend wichtig werden. Wir haben eine private Wasserstofftankstelle im Süden der Stadt an der Manchinger Straße und mit der Gunvor einen großen Wasserstoffproduzenten, der jeden Tag mehrere hundert Kilo Wasserstoff herstellt und diese selbst gar nicht verbrauchen kann. Wir können Nutzfahrzeuge wie etwa Busse auf Wasserstoff umstellen und damit eine hoch saubere Energie nutzen, sofern der Wasserstoff in Zukunft auch durch regenerative Energien hergestellt wird. Das ist ein Schritt, der machbar ist. Wichtig ist dabei jetzt die geeignete Infrastruktur für das Thema Wasserstoff zu schaffen.
Wer sind denn die „treibenden Wasserstoffkräfte“ in Ingolstadt?
Das sind von städtischer Seite Professor Rosenfeld von der IFG, unser Stadtdirektor Hans Maier und Bianca Krauser, darüber hinaus die Gunvor, die Audi AG und die Hochschulen. Es gibt mehr als ein Dutzend Partner die hier mit an Bord sind. Ich darf allen danken, denn diese Initiative ist eine Gemeinschaftsinitiative und war erst der erste Schritt. Wir werden uns auch auf die nächsten Stufen bewerben und dann gibt’s auch mehr Fördergeld.
Wasserstoff als Technologie der Zukunft – man könnte das Jahr 2019 überhaupt als Jahr der Zukunftstechnologien in Ingolstadt bezeichnen?
Ingolstadt entwickelt sich zu einem High-Tech Standort. Wir haben ja nicht nur den Zuschlag zur Wasserstoffregion bekommen, sondern haben gerade auch den Wettbewerb 5GoIN, also 5G Mobilfunkstandard in Ingolstadt, gewonnen. Gleichzeitig haben wir den Förderbescheid für das Urban Air Mobility Projekt „In City Take Off“ bekommen. Da geht es um die Frage, wie in Zukunft auf Gebäuden oder öffentlichen Flächen Landeplätze für Drohnen oder Flugtaxis entwickelt werden. Wir haben 2019 das Kompetenzzentrum für Künstliche Intelligenz mit Professor Schober von der THI und Frau Professor Gien von der KU ins Leben rufen können mit 23 Wissenschaftlern, die hier im Bereich Künstliche Intelligenz forschen. Wir sind mit der Katholischen Universität am Aufbau eines neuen Institutes für Mathematik, Maschinelles Lernen und Data Science, das beginnend ab nächstem Jahr 1000 Studierende am Standort ansiedeln soll.
Die Technische Hochschule hat in den nächsten zehn Jahren eine Verdopplung der Studierendenzahl vor sich. Hier gibt es ganz neue Studiengänge, die sich beispielsweise auch mit Medizintechnik oder Biosensorik beschäftigen, also nicht mehr reine Ingenieurswissenschaften vermitteln, sondern z.B. auch Humanwissenschaften. Das Digitale Gründerzentrum ist im Aufbau, das Kavalier Dalwigk ist bereits Baustelle und wird in 24 Monaten fertig gestellt sein. Wir haben das Georgianum im Bau, das auch in zwei Jahren fertig gestellt sein wird und dann ein Ethikinstitut beherbergt, aber auch bayerische Gastronomie und ein Haus des Reinen Bieres.
Wir konnten die erste Strecke für Autonomes Fahren auf städtischem Grund und im Anschluss an das bundesdeutsche Testfeld auf der A9 zwischen Ingolstadt und München eröffnen und wir haben ein Testfeld für Urban Air Mobility in Manching erzeugt. Es gibt viele Initiativen. Mein Ziel ist es, auch noch das Thema Biosensorik voran zu treiben. Wir wollen die Stadt 2020 mit einem Sensornetz überziehen, das dann Biosensoren, also Umweltsensoren, enthält, die z.B. CO2 oder Stickoxide erfassen, aber darüber hinaus auch UV-Strahlung, Feuchtigkeits- und Wärmegrade messen. Wir wollen das mit den Verkehrsdaten koppeln, damit wir unseren Beitrag für eine „Clean City“ leisten. Wir Ingolstädter können stolz darauf sein, eine der Großstädte mit der saubersten Luft und auch dem saubersten Trinkwasser zu sein. Das sind zwei Grundgüter, die wir versuchen müssen, zu erhalten, mit „Clean City“ möchten wir dazu beitragen, die besten Umweltbedingungen für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen.
Zum Thema Umwelt gehört auch der Verkehr. Zählt die Eröffnung des Audi Bahnhalts zu den Highlights des Jahre 2019?
Die Eröffnung des Audi Bahnhalts ist ein Quantensprung für unseren ÖPNV. Wir haben vor wenigen Jahren den Nordbahnhof selber neu gebaut, haben jetzt den Audi Bahnhalt eröffnet und wir planen bereits den Neubau des Hauptbahnhofs mit einem Investor. Das sind drei komplett neue Bahnhöfe innerhalb eines Jahrzehnts. Wir haben vor zwölf Monaten den regionalen Gemeinschaftstarif ins Leben gerufen und jetzt im INVG Aufsichtsrat das größte ÖPNV Investitionsprogramm aller Zeiten in die Wege geleitet. Es soll neue Takte, neue Linien und neue Busse geben. Die Linie 70, die Stammstrecke vom Osten der Stadt in den Westen zum Klinikum, soll jetzt beispielsweise im 10-Minuten-Takt fahren und damit auch die Stammstrecken der Linie 10, 11 und 15 aufwerten, weil dadurch auch Umsteigebeziehungen verbessert werden. Wir bekommen eine neue Buslinie von Etting über Audi Bahnhalt und Westpark zum Klinikum. Wir bauen unser digitales Anzeigesystem massiv aus und beschaffen 20 neue Busse, davon 16 Hybridbusse. Das findet alles unter dem Dach des regionalen Gemeinschaftstarifs statt und ist miteinander vernetzt. Wir haben jetzt auch eine Studie dazu vorliegen, die bestätigt, dass wir mit unserem ÖPNV bundesweit einer der günstigsten sind.
2020 findet in Ingolstadt die Landesgartenschau statt. Und die soll ja auch zur Lebensqualität im Norden der Stadt beitragen…
Die Landesgartenschau wird kommendes Jahr das prägende Element sein. Wir bekommen als Ingolstädter einen neuen Park, der für uns auch dauerhaft zur Verfügung steht. Wir loben ja alle zurecht den Klenzepark als grüne Lunge, Naherholungs-, Spiel- und Eventfläche. Genau so etwas möchten wir auch auf dem neuen Landesgartenschaugelände erreichen. Es gibt dort einen See, einen Wasserspielplatz für unsere Kinder und Enkelkinder, ein Kletterareal, aber auch all das, was zu einer Landesgartenschau gehört, also große Blumenschauen und verschiedenste Pflanzen. Unsere Partnerstädte haben hier selbst Investitionen vorgenommen. Ich darf da die Stadt Foshan erwähnen, die eine halbe Million Euro in einen chinesischen Garten investiert. Wir werden auch ein großartiges Programm mit mehr als 1000 einzelnen Veranstaltungen erleben. Johannes Langer hat hier mit seiner Kollegin wirklich Großartiges geleistet. Unsere Landesgartenschau ist es wert, sie nicht nur ein- oder zweimal zu besuchen, sondern am besten erwirbt man gleich eine Dauerkarte. Denn wenn man fünfmal innerhalb von sieben Monaten auf die Landesgartenschau geht, dann ist es bereits günstiger, die Dauerkarte zu kaufen.
Jetzt gibt es im März ja noch ein nicht unbedeutendes Ereignis, nämlich die Kommunalwahl. Kann man im Stadtrat noch Entscheidungen fällen oder befindet man sich ab Januar im Wahlkampfmodus?
Zunächst wird ja vieles nicht im Stadtrat entschieden, sondern innerhalb der Verwaltung. Und die arbeitet auf Hochtouren für die Bürgerinnen und Bürger – so intensiv wie selten zuvor. Viele Entscheidungen fallen außerdem nicht im Stadtrat sondern in den Tochtergesellschaften, also zum Beispiel im Aufsichtsrat der INVG oder in der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft. Dort arbeiten die Aufsichtsräte sehr vertrauensvoll und sehr zielgerichtet für unsere Heimatstadt weiter. Aber auch der Stadtrat hat große Programme beschlossen. Immerhin haben wir vor Kurzem im Stadtrat einen Rekordhaushalt gemeinsam verabschiedet und große Investitionen gemeinsam frei gegeben.
Es ist nicht so wie es manchmal den Anschein hat, dass nur diskutiert wird und nichts rauskommt. Im Gegenteil. Ein Stadtratsgremium, das einen Rekordhaushalt aufstellt und damit den Stellenplan für die Verwaltung frei gibt, das handelt nicht unverantwortlich, sondern hoch verantwortlich. Es stockt nichts, im Gegenteil. Der Wahlkampf überlagert natürlich vieles, aber die Realität sieht ehrlicherweise anders aus. Es wird so viel und so zügig beschlossen wie selten zuvor.
Der neue Stadtrat wird wohl viele neue Gesichter mit sich bringen und auch neue Konstellationen an Gruppierungen oder Parteien. Was erwarten Sie?
Es wird sehr spannend werden. Es ist heute schon absehbar, dass nach der Kommunalwahl im Stadtrat mehr Parteien und mehr Gruppierungen sitzen werden. Bestimmte Gruppierungen werden dabei auch kleinteiliger werden, weil sie sich zum Beispiel spalten oder die Wählerschaft nicht an sich binden konnten. Es wird wie auf der Bundesebene oder verschiedenen Landesebenen auch eine stärkere Spreizung geben, die rechten und linken Flügel werden stärker ausgeprägt, aber auch grüne und liberale Themen werden stärker. Die unimodale Wählerverteilung der vergangenen 20 Jahre gibt es nicht mehr. Wir haben mindestens eine bimodale, also mehr in die Flügel tendierende Wählerverteilung oder eine trimodale Verteilung, weil wir eine Tendenz zu grünen Themen sehen. Ob die vielen Gruppierungen und die Flügel, die sich daraus bilden, dann im Stadtrat zu einem guten Miteinander finden werden, muss man sehen.
Es gibt aber noch eine Besonderheit, wenn man auf den nächste Stadtrat blickt: Es hören viele verdiente Kolleginnen und Kollegen auf. Andere haben die Partei gewechselt und werden sicherlich nicht die Wählerschaft an sich binden können, wie sie sich das erhoffen. Wir werden bis zu 50 Prozent neue Stadträte und damit ein in weiten Teilen hoch unerfahrenes Gremium haben. Es wird unser aller Anstrengung bedürfen, dass wir zunächst die Sitzungsabläufe erklären, wie und warum Sitzungen so strukturiert sind, wie man Anträge stellt, wie Abstimmungen funktionieren und wie das gesamte Gemeinwesen der Stadt, also Stadtverwaltung und Tochtergesellschaften, funktioniert. Dazu müssen Strömungen, Anliegen und strategische Grundzüge in der Bürgerschaft erkannt werden. Es wird ein, zwei Jahre in Anspruch nehmen, die neuen Kolleginnen und Kollegen gut einzubinden.
2020 wird ein Jahr der Herausforderungen. Können Sie zwischendurch noch durch schnaufen? Bekommen Sie so was wie Weihnachtsurlaub genehmigt?
Ein Oberbürgermeister ist selten wirklich im Urlaub. Bei 140 000 Einwohnern und bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die selbstverständlich für die Bürger auch über die Feiertage da sind, bekommt man zahlreiche Anfragen zum Beispiel per E-Mail. Man ist zwar was die Termine anbelangt weniger im Einsatz, aber eigentlich nie vollständig im Urlaub.
Und was wünscht sich der Oberbürgermeister unter dem Weihnachtsbaum für Ingolstadt?
Ich wünsche mir, dass wir 2020 als Auftaktjahr eines neuen Jahrzehnts sehen. Jede Generation hat es selbst in der Hand, ob sich ihre Stadt, ihr Gemeinwesen positiv oder negativ entwickelt. Diese 20er Jahre können wir entweder zu den „Goldenen Zwanzigern“ machen oder wir können im Krisenmodus in kleinteiligen Debatten weiter machen. Mein Ziel wäre eigentlich, dass wir aus diesen 20er Jahren die „Goldenen Zwanziger“ machen. Es ist uns in der Vergangenheit immer gelungen, Probleme zu bewältigen. Wir Politiker und die Mitarbeiter der Stadt sind Dienstleister am Bürger, die zuhören sollen, um Probleme für die Bürger zu lösen. Wenn wir unter diesem Eindruck das neue Jahrzehnt als die „Goldenen Zwanziger Jahre“ von Ingolstadt gestalten, dann wäre mir das ganz recht.